Im Hochgebirge oberhalb von Gondo soll eine riesige Solaranlage entstehen. Während die einen darin die Lösung für die Zukunft sehen, warnen andere vor der Zerstörung von Naturräumen. Ein Besuch im Simplongebiet.
von Florian Wüstholz (Text) und Martin Bichsel (Bild) – in WOZ Nr. 05/22
«Wie wunderbar die Sonne bereits auf die Berghänge scheint, während wir hier noch im Schatten sitzen.» Es ist ein Januarmorgen, und Peter Bodenmann schaut von seinem Hotel in Brig zu den Gipfeln hoch.Der 69-jährige einstige SP-Präsident will die Wintersonne im Wallis zur Stromerzeugung nutzen – mit grossen alpinen Solaranlagen auf mehr als 2000 Metern über Meer.
Eine davon soll oberhalb des Grenzorts Gondo auf der Südseite des Simplonpasses entstehen. Wo früher Kühe und Schafe gesömmert wurden, finden sich heute ungenutzte Alpen. Pittoreske Wanderwege führen unterhalb des Monte Leone alten Schmugglerrouten und Säumerpfaden entlang. Mit dem Projekt «Gondosolar» stünden hier auf einer Grösse von rund 280 Fussballfeldern dereinst jede Menge «bifaziale» Solarzellen: Diese produzieren auf beiden Seiten Strom und nutzen so zusätzlich die Lichtreflexion von Schnee und Boden.
Bodenmann verweist auf Forschungsergebnisse von der Totalp oberhalb von Davos. Diese zeigten, dass gerade im Winter – wenn der Strom aus anderen Energiequellen spärlicher fliesst und gleichzeitig der Verbrauch höher ist – alpine Solaranlagen viermal effizienter seien als jene im Flachland. Akribisch rechnet er vor: Statt sämtliche Hausdächer in den Städten zu «verschandeln», wäre es vernünftiger, die Wintersonne des Wallis anzuzapfen. Mit bloss 0,8 Prozent der Fläche des Alpenraums liesse sich genügend Strom für die ganze Schweiz produzieren – «Zwischenstand des Irrtums meinerseits», so Bodenmann.
Noch viele Hürden
An diesem Morgen ist der Simplonpass wenig befahren. Wo sonst Lastwagen um Lastwagen von Brig nach Domodossola donnert, zieht es heute bloss ein paar Ausflügler*innen in die Berge. Sie suchen nach unberührten Schneehängen, auf der Passhöhe liegen jedoch bloss dreissig Zentimeter, weniger als die Hälfte des langjährigen Mittels.
Auf der anderen Seite des Passes liegt auf 850 Metern über Meer zwischen schroffen Felswänden Gondo. Berühmt wurde es im Jahr 2000, als ein verheerender Erdrutsch das Dorf zerstörte und dreizehn Todesopfer forderte. Gondo hat bloss etwa siebzig Einwohner*innen, aber gleich drei Tankstellen; geht es nach Peter Bodenmann, wird sich das ändern. In wenigen Jahren schon sieht er hier bloss noch Elektrolastwagen über den Pass gleiten. «Wir bewegen uns mit rasender Geschwindigkeit in Richtung Elektrifizierung der Mobilität», prophezeit er. In Bodenmanns Vorstellung werden die neuen Lastwagen ihre Batterien in Gondo aufladen, mit Strom aus einem der umliegenden Wasserkraftwerke oder eben: von Gondosolar.
Ganz so weit in die Zukunft will Daniel Squaratti nicht denken. Der 38-jährige, im letzten Jahr frisch gewählte Gemeindepräsident steht wie sein Dorf voll hinter den Solarplänen. «Wir wollen hier erneuerbare Energien fördern und zudem die Menschen, die hier wohnen, zum Stromsparen animieren», erklärt er im Gemeindehaus. Im Dorf mit dem tiefsten Strompreis der Schweiz sei das neue Energiesparförderreglement an der Urabstimmung einstimmig angenommen worden. In gewissen Fällen belohne es Häusersanierungen. Bereits heute gebe es keine Ölheizungen mehr in Gondo, sagt Squaratti.
Anders als Optimist Bodenmann betont Squaratti die diversen Hindernisse für Gondosolar: Zuerst muss eine Machbarkeitsstudie zeigen, dass das Projekt realistisch ist. Bis jetzt sieht es gut aus. Dann muss die Zonenplanung verändert werden, damit in der heutigen Landwirtschaftszone Strom produziert werden darf. Auch andere Walliser Gemeinden sehen neue Zonen für Solaranlagen vor. Das Projekt muss in den kantonalen Richtplan aufgenommen werden. Natürlich müssen die Umweltverbände mit an Bord sein. «Weil es hier allenfalls auch einen Eingriff in die Natur bräuchte, trifft man auf gewisse Widerstände», sagt Squaratti verhalten.
Tatsächlich sind Umweltverbände wie Pro Natura von Projekten wie diesem wenig begeistert. Auch einer ähnlichen Solaridee im wilden Saflischtal mitten im Landschaftspark Binntal zeigt die älteste Naturschutzorganisation der Schweiz die rote Karte. «Die alpinen Räume sind bislang noch am wenigsten durch menschliche Tätigkeiten und Infrastrukturen geprägt», sagt Michael Casanova, Projektleiter Energiepolitik bei Pro Natura. Statt die Alpen zu verbauen, sollten besser die bereits versiegelten Flächen in den Städten und auf Verkehrsachsen für Solarinstallationen genutzt werden. Allein auf den bestehenden Dach- und Fassadenflächen sehe das Bundesamt für Energie ein Potenzial von über sechzig Terawattstunden, sagt Casanova. «Das ist in der Summe sogar mehr als der heutige Gesamtstromverbrauch der Schweiz.» Die letzten wilden Lebensräume der Schweiz müssten dagegen zwingend geschützt werden.
Saure Äpfel
Für Bodenmann ist es aber nur eine Frage der Zeit, bis auch die Umweltverbände die Notwendigkeit von Projekten wie in Gondo und im Saflischtal erkennen. Wer die Energiewende schaffen wolle, müsse auch mal in den sauren Apfel beissen. Angesichts der Klimaerhitzung seien schnelle Lösungen nötig. Untersuchungen aus Deutschland zeigten zudem, dass frei stehende Solaranlagen die lokale Biodiversität verbessern könnten; ob das auch für die Walliser Alpen mit ihrer einzigartigen Flora und Fauna gilt, ist nicht erforscht.
Daniel Squaratti und Peter Bodenmann haben in politischen Fragen das Heu selten auf derselben Bühne. Doch in diesem Fall stimmt Gondos Gemeindepräsident dem früheren SP-Politiker zu: «Wenn wir nicht mehr mit Öl heizen und unsere Autos elektrisch fahren sollen, brauchen wir mehr Strom. Und der muss irgendwoher kommen.» Es brauche Kompromisse, zumal das Problem der Winterstromlücke immer grösser werde. Ohne Atomkraft müssten Projekte wie Gondosolar – wenn die Bedingungen stimmten – zugelassen werden, ansonsten lasse sich die Energiestrategie des Bundes nicht umsetzen.
Der Ausbau der Solarenergie ist für Squaratti absolut notwendig. Am wasserreichen Simplon sind die Folgen der Klimaerhitzung bereits deutlich zu spüren. Die Gletscher unterhalb von Weissmies, Lagginhorn und Fletschhorn schmelzen. «Auch vom Zwischbergengletscher ist nicht mehr viel übrig», sagt er. Das schmälert die Leistung der lokalen Wasserkraftwerke. Ab wann die alpinen Solarzellen zusätzlichen Strom produzieren, wagt Daniel Squaratti nicht zu prognostizieren.